Als großer Vorteil unserer Gesellschaftsordnung in Deutschland wird immer wieder hervorgehoben, dass wir in einer Demokratie leben. Gerade die USA werden nicht müde zu fordern, dass alle Staaten auf unserer Erde eine Demokratie nach ihrem Vorbild einrichten sollen. Das von den USA praktizierte Demokratiemodell, dem sich in wesentlichen Punkten auch die Regierungen in Deutschland verpflichtet fühlten und fühlen, wird repräsentative Demokratie genannt.
Der eher schlechte Witz an dieser Geschichte: Die repräsentative Demokratie hat mit Demokratie so gut wie gar nichts zu tun. Jedenfalls dann nicht, wenn man der Meinung ist, dass in einer Demokratie die Bevölkerung bzw. das Volk bestimmt, welche Politik gemacht wird. Am 03.03.2010 hielt die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Rede zur Vorstellung des Allensbacher Jahrbuchs der Demoskopie: https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/rede-von-bundeskanzlerin-dr-angela-merkel-794788, Zitat daraus:
„Aber genau deshalb bin ich auch zutiefst davon überzeugt, dass es richtig ist, dass wir eine repräsentative Demokratie und keine plebiszitäre Demokratie haben und dass uns die repräsentative Demokratie für bestimmte Zeitabschnitte die Möglichkeit gibt, Entscheidungen zu fällen, dann innerhalb dieser Zeitabschnitte auch für diese Entscheidungen zu werben und damit Meinungen zu verändern. Wir können im Rückblick auf die Geschichte der Bundesrepublik sagen, dass all die großen Entscheidungen keine demoskopische Mehrheit hatten, als sie gefällt wurden. Die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, die Wiederbewaffnung, die Ostverträge, der Nato-Doppelbeschluss, das Festhalten an der Einheit, die Einführung des Euro und auch die zunehmende Übernahme von Verantwortung durch die Bundeswehr in der Welt – fast alle diese Entscheidungen sind gegen die Mehrheit der Deutschen erfolgt. Erst im Nachhinein hat sich in vielen Fällen die Haltung der Deutschen verändert.“
Sie gibt es also offen zu: Fast alle wichtigen Entscheidungen in der Geschichte der Bundesrepublik wurden gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung gefällt. Gleichzeitig erkennt man die große Bedeutung von Meinungsforschungsinstituten für die Politik. Sie erlauben den Spitzenpolitikern zu erkennen, inwieweit ihre Argumente bei gegen den Willen der Bevölkerung getroffenen Entscheidungen in der Bevölkerung zu einem Umdenken führen.
Für die heutige Zeit lässt sich noch hinzufügen: Die Argumentationen von Spitzenpolitikern kommen in vielen Fragen bei den Menschen in Deutschland nicht mehr gut an. Die Politik benötigt also immer mehr auch die Unterstützung der sogenannten Mainstream-Medien, um zumindest größere Proteste zu verhindern. Diese zunehmende Abhängigkeit der Politik von den Medien hat umgekehrt auch immer mehr dazu geführt, dass die Mainstream-Medien einen wachsenden Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse haben.
Hinzu kommt: Spitzenpolitiker, die es in ein Ministerium schaffen, haben oft nur sehr wenig Kenntnisse von ihrem Fachgebiet. Sie lassen sich die zu treffenden Maßnahmen in ihrem Ministerium dann gerne von Lobbyisten erklären, die zum großen Teil Vertreter des Großkapitals sind oder auch Vertreter aus der US-Politik.
Dieser von außen kaum überschaubare Zusammenhang von Spitzenpolitik, Mainstream-Medien, Meinungsforschungsinstituten und Lobbyisten begründet letztlich die Art und Weise von politischen Entscheidungen. Hierbei handelt es sich letztlich um eine kleine Minderheit von Menschen in unserer Gesellschaft. Die Bevölkerung selbst hat außer regelmäßigen Stimmabgaben bei Wahlen letztlich gar nichts zu sagen. Dieses System hat also m.E. mit Demokratie wirklich nicht viel zu tun.
Blogbeiträge zum Thema Demokratie sollten sich also darum Bemühen. undemokratische Entscheidungsprozesse an konkreten Beispielen immer wieder aufzuzeigen.
Zugleich sollten Vorschläge diskutiert werden, die zu einer Demokratisierung der Gesellschaft führen könnten. Das können einfache Vorschläge sein (z.B. Volkdsabstimmungen). Aber auch komplexere Ideen, die unser gesamtes politisches System in Frage stellen könnten. Z.B.: Auch das Grundgesetz der Bundesrepublik wurde nicht vom Volk beschlossen. Änderungen des Gesetztes finden permanent statt und sind möglich, wenn es eine Mehrheit dazu im Bundestag und im Bundesrat gibt. Auch auf die Entwicklung des Grundgesetzes hat die Bevölkerung letztlich keinen direkten Einfluss. Das gilt auch für das Bundesverfassungsgericht. Die Richter dort werden auch vom Bundestag/Bundesrat bestimmt, auch hierauf hat die Bevölkerung keinen Einfluss.
Nicht zuletzt muss auch die Frage diskutiert werden, ob eine wirkliche Demokratisierung der Gesellschaft in einem System des neoliberalen Kapitalismus überhaupt möglich ist. Kapitalismus und Demokratie, kann das überhaupt zusammen gehen? Zu dieser Frage empfehle ich die Lektüre des Buches von Rainer Mausfeld: „Hybris und Nemesis – Wie uns die Entzivilisierung von Macht in den Abgrund führt – Einsichten aus 5000 Jahren“.